Eine Teilnehmerin eines Webinars hat von ihren persönlichen Erfahrungen berichtet. Es ging um den Zusammenhang zwischen Privatsphäre und Gemeinschaft.
Anna (Name frei erfunden) hat berichtet, dass sie in einer Wohnung mit Balkon gewohnt hat. Dieser Balkon grenzte ohne Sichtschutz an den Balkon der Nachbarfamilie. So nah, dass man sich fast die Hand geben konnte.
Während sie nach dem Einzug in die Wohnung den Balkon noch regelmäßig genutzt hat, wurde ihr die Anwesenheit der Nachbarn zunehmend unangenehm. Schon in der Früh mit dem Kaffee fühlte sie sich genötigt, höflichkeitshalber zu grüßen, obwohl sie eigentlich für sich sein wollte.
Das Ende der Geschichte: Anna hat den Balkon immer seltener und schließlich irgendwann gar nicht mehr genutzt.
Wir gewöhnen uns nicht – wir reagieren.
Wir gewöhnen uns nicht an Situationen, die unseren Bedürfnissen widersprechen. Wir reagieren auf diese Situationen. Meistens unbewusst.
Und Anna´s Bedürfnis nach Privatsphäre wurde in dieser Situation nicht erfüllt.
Die Konsequenz war nicht nur ein verwaister Balkon, sondern auch ein Rückzug von jeglichen Nachbarschaftskontakten.
Anna berichtete, sie wollte sich mit niemandem aus der Nachbarschaft mehr unterhalten – einfach nur unbehelligt kommen und gehen.
Der Umzug.
Dann ist sie umgezogen. In der neuen Wohnung ist die Privatsphäre gut schützt. Sie fühlt sich wohl.
Und dann bemerkt sie etwas Spannendes.
Nach einiger Zeit in der neuen Wohnung hat sie plötzlich den Gedanken, es wäre doch schön, ein Nachbarschaftsfest zu organisieren.
Und ihr fällt plötzlich auf, dass mit dem Schutz ihrer Privatsphäre das Interesse an der Gemeinschaft zurückgekommen ist.
Die Wirkung von räumlichen Strukturen.
Wir Menschen brauchen Privatsphäre. Ihr Schutz muss in der Wohnbauplanung unbedingt berücksichtigt werden, um eine hohe Wohnqualität und eine hohe Wohnzufriedenheit zu erreichen. So weit, so klar.
Das spannende ist, dass nur durch eine sichergestellte Privatsphäre auch die Bildung von Gemeinschaft langfristig gefördert wird. Denn wenn wir nicht ausreichend Privatsphäre haben, ziehen wir uns zurück. Räumlich – aber auch aus der Nachbarschaft.
Der psychologische Hintergrund ist das Erleben von Stress und Kontrollverlust, wenn wir bei zu wenig Privatsphäre ständig dem unerwünschten Kontakt mit unseren Nachbarn ausgesetzt sind.
Das sind die Wirkmechanismen des gebauten Raums auf unser Empfinden und Verhalten. Sie wirken langfristig. Und sie haben großen Einfluss auf unsere individuelle Wohnzufriedenheit und auf unser Zusammenleben.
Wer die Zusammenhänge in der Planung berücksichtigt, hat Vorteile: ein gutes Wohnangebot und Bewohner*innen, die über lange Zeit gerne in ihrem Haus wohnen.
Herzliche Grüße,
Andrea Eggenbauer
PS: Sie möchten sicher gehen, dass auch ihre Wohnbauplanung die Gemeinschaft unterstützt und nicht untergräbt? Dann finden Sie hier meine Angebote dazu.