Teil 2 der 3-teiligen Serie: Privatsphäre im Wohnbau.
In Teil 1 der Serie bin ich auf die Bedeutung des Schutzes vor visueller Fremdkontrolle eingegangen. (Den Beitrag finden Sie hier.) In diesem Beitrag geht es um das Phänomen des Crowdings.
Wie haben nur eine gewisse Toleranz bezüglich der Nähe zu unseren Mitmenschen – abhängig von der Situation, in der wir und gerade befinden.
Und natürlich abhängig von der Person gegenüber, aber das ist eine andere Geschichte. 😉
Was wir an einem Montagmorgen in der Wiener U-Bahn akzeptieren, würden wir zu Hause auf unserer eigenen Terrasse NIEMALS tolerieren.
Stellen Sie sich nur vor, eine unbekannte Person würde sich einfach so auf Ihrer Terrasse Schulter an Schulter zu Ihnen setzen – und Sie gerade beim Morgenkaffee …
Was dann eintritt, nennt man in der Psychologie Crowding.
Es ist das subjektive Gefühl der Beengtheit durch ein Übermaß an unerwünschtem Sozialkontakt, welches mit Stress und einem Gefühl des Kontrollverlusts einhergeht.
Schilfmatten-Burgen soweit das Auge reicht.
Crowding beeinträchtigt unsere Privatsphäre noch stärker als visuelle Fremdkontrolle.
Wenn Sie Schilfmatten, hohe Hecken, Lattengerüste, geschlossene Rolläden und Co. sehen, fallen diese Schutzmaßnahmen der Bewohner*innen dann besonders massiv aus, wenn jemand an deren privaten (Frei)Räumen unmittelbar vorbei gehen kann, und so ein kurzer Blickkontakt fast automatisch zustande kommt.
Die Bewohner*innen werden durch diese Nähe einer anderen Person beinahe gezwungen, zu reagieren.
Das personal space – Modell.
Der persönliche Raum ist der Abstand, den wir intuitiv zu anderen Menschen einnehmen. Er ist ein wichtiges Element der nonverbalen Kommunikation.
Zuhause ist es uns besonders wichtig, diesen Abstand zu Menschen in unserem Wohnumfeld selbstbestimmt gestalten zu können.
Rückzug.
Schutzmaßnahmen wie Rollladen, Schilfmatte und Co. sind die logische Folge, wenn notwendige Distanzen unterschritten werden und dadurch die unbefangene Nutzung der eigenen privaten Räume eingeschränkt wird.
Die Konsequenz ist eine stark beeinträchtigte Wohnqualität und zwei Optionen: bleiben oder gehen.
Manche entscheiden sich für´s Gehen. Es gibt Wohnungen, die auf Grund dieser Ursache regelmäßig leer stehen.
Nicht jede*r kann es sich leisten, auszuziehen.
Wenn Bewohner*innen bleiben, nehmen sie eine Situation in Kauf, die ihrer Wohn- und Lebensqualität beeinträchtigt. Sie können sich zu Hause langfristig nicht ausreichend entspannen und erholen.
Der räumliche Rückzug, der dann folgt, hat aber nicht nur Auswirkungen auf die einzelne betroffene Person oder die Familie.
Er hat auch Auswirkungen auf das Zusammenleben im Wohnumfeld.
Auswirkung auf das nachbarschaftliche Zusammenleben.
Denn dem äußeren Rückzug folgt meistens auch ein innerer Rückzug. Und damit ein Rückzug aus der nachbarschaftlichen Gemeinschaft.
Folgen, die auf den ersten Blick nicht ersichtlich sind: häufigere Konflikte mit den Nachbarn, eine geringere Bereitschaft zu kooperieren und eine geringere Bereitschaft, für sein Wohnumfeld Mitverantwortung zu übernehmen.
Der Wohnbau – ein lebendiges System.
Wenn Sie Gemeinschaft fördern wollen, achten Sie daher immer auch auf den Schutz der Privatsphäre Ihrer einzelnen Bewohner*innen! Nehmen Sie deren Bedürfnisse ernst.
Es erspart Ihnen unnötige Konflikte.
Und es reduziert die Wahrscheinlichkeit von Leerstand – besonders in Erdgeschosswohnungen.
Mit herzlichen Grüßen,
Andrea Eggenbauer
PS: Wenn Sie sich bei einem Planungskonzept nicht sicher sind und wissen wollen, wie sich das Projekt voraussichtlich auf das Verhalten der zukünftigen Bewohner*innen auswirken wird, finden Sie hier meine Angebote.